Auf
Schloss Landsberg trafen wir uns, René und ich, im September zweiundsechzig
zu gemeinsamen Ferien und zum Arbeiten. Der Landsberg, eine Burg bei
Meiningen reinster Kitsch. Im wieherdnsten Historizismus gebaut, mit
Burgfried, Zinnen und Söller, neogotischen Türmchen und Fenstern.
Nachts Käuzchenruf und Fledermäuse ... Als fleißig zeichnender Künstler
liebte René die Gedankenspiele. Den Gegenstand, der ihn beschäftigte,
zeichnete er solange, bis er ihn - abstrahierend auswendig - in den
"Schnee pissen" konnte, wie er sich ausdrückte."Zum Künstler wird
man nicht vor der Natur, sondern im Louvre". Diesen Ausspruch Renoirs
beherzigte er. Da fielen uns gleich eine Menge großer Namen ein: Miro,
Arp, Brancusi oder Picasso. Das Einbeziehen fremder, in der damaligen
DDR sogar verbotener, zumindest aber unbekannter Schönheit mit ihren
tiefen Ideen und guten Gedanken, übte auf uns einen besonderen Reiz
aus. Wie in seinen Zeichnungen oder Lithos das Helle die Dunkelheit
besiegt, die lebensspendende, von René begrünte und bekränzte Sonne
die unheilvolle mit Dämonen, Drachen und Ungeheuern erfüllte Nacht
verdrängt, streben auch seine Figuren nach oben, zum Licht.
Harmonisch
gerundete Linien stehen gegen schräge Dissonanzen. Gerade weil diese Formen
zu einer Zeit so wenig gebräuchlich waren, quälte sich René Graetz mit
der Eindeutigkeit seiner Aussage. Zögernd, immer wieder verändernd, feilt
und modelliert er an seinen Plastiken, verwirft, zerstört, fängt wieder
neu an, bis seine Arbeit zu sprechen anfängt mit einer dem Publikum fremden
Sprache. Je mehr wir uns mit René Graetz beschäftigen, wird seine Kunst
auch verstanden werden.
Gotthold Gloger
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